Sonntag, 2. August 2009

Am Nationalfeiertag

Am ersten August beneide ich meine ehemaligen Kollegen von der Zeitungsredaktion jeweils ganz und gar nicht. Nicht weil sie am Nationalfeiertag Sonntagsschicht schieben müssen, sondern weil sich jedes Jahr dasselbe abspielt: In jeder Gemeinde findet die gleiche offizielle Feier statt, die gleichen Jodler jodeln die gleichen Lieder und die gleichen Leute sitzen vor der gleichen Fahne. Nachdem die nationale Bedrohung der letzten Jahr mittels Taskforce erfolgreich aus dem Weg geräumt wurde – die Rede ist von der Cervelatkrise bzw. dem Mangel an Därmen – weiss der diensthabende Journalist schon im Voraus, was von den Rednerpulten zum Volk gesprochen wird. Getrost könnte er die Schlagworte der letzten Jahre – Solidarität, Selbstverantwortung, Schweizer Werte, Aufbruch und Rückbesinnung – mit ein paar aktuellen Floskeln würzen – Krise, jetzt erst recht, das Steuer herumreissen – und schon hätte er die Reden zusammengefasst. Hie und da die Reihenfolge verändert, da und dort etwas pointierter formuliert und fertig ist der Brei. Natürlich wird das der Redaktor nicht tun, und seine Reporter werden ihm getreu berichten, was dieser und jene vom Rednerpult herunter sprach.
Sie sehen also, als Zeitungsmacher hat man es nicht leicht, besonders nicht am Nationalfeiertag. Und sollten Sie selber dereinst eine Rede zum Gründungstag der Schweiz halten müssen, dann denken Sie bitte an die armen Journalisten und versuchen Sie, etwas ganz Anderes zu machen. Erzählen Sie vom letzten Quartierfest, als Sie mit dem türkischen Nachbarn ins Gespräch kamen. Berichten Sie von Ihrer letzten Velotour durch das schöne Zürcher Oberland. Servieren Sie ein paar schöne Geschichten und lassen Sie die Floskeln und Schlagworte zu Hause.

Die Leiden des Konsumenten

Dass der tägliche Einkauf längst zu einem politischen Akt geworden ist, braucht Ihnen wohl niemand zu sagen. Kaum hat man sich ein Wägeli geschnappt, geht es los: Soll man Aprikosen aus Übersee kaufen oder aus dem Wallis? Das ökologische Gewissen will Schweizer Obst, das Portemonnaie plädiert für die billigere Importware. Man lässt es am besten bleiben, es muss ja nicht jeden Tag Obst sein. Dann vielleicht ein paar Trockenfrüchte? Man hat die Wahl zwischen Datteln aus Ägypten und der Türkei. Es beschleichen einen Zweifel: Soll man diese Regime unterstützen? Erst neulich konnte man doch wieder von Menschenrechtsverletzungen lesen, hüben wie drüben. Man legt die Packungen zurück ins Gestell. Es ist ohnehin keine Saison für Datteln, denkt man und schiebt den leeren Wagen weiter zum Gemüsestand. Bio-Kopfsalat steht auf der Einkaufliste und der ist ja nun sicher politisch völlig unproblematisch, denkt man, legt ihn ins Wägeli und während man das nächste Regal ansteuert, denkt man plötzlich an einen Bericht im Fernsehen. Da konnte man sehen, dass die Bio-Bauern zwar keine Gifte spritzen dürfen, dafür umso mehr Kupfer auf ihre Äcker kippen. Man verdrängt den Gedanken schnell und geht mit schlechtem Gewissen zum Mineralwasser-Gestell. Beim Griff nach der grünen Flasche stutzt man: So viel Verpackung für ganz banales Wasser, das nicht einmal Kohlensäure enthält? Dann kann man ja gerade so gut Leitungswasser trinken.
Dann wenigstens ein Glas Wein, wenn einem schon alles andere vergönnt ist. Doch halt, man weiss doch mittlerweile, dass Wein mit Schadstoffen belastet ist. Und diese Schadstoffe lagern sich im Körper ab, verursachen chronische Krankheiten, man wird ein Fall für die teure Spitzenmedizin und trägt dazu bei, dass die Gesundheitskosten noch weiter steigen. Also lieber keinen Wein und ab zur Kasse.
Zu Hause setzt man sich an den Tisch und denkt an die vielen guten Taten, die man als verantwortungsvoller Konsument getan hat und lässt sich den Salat schmecken. Wobei, so richtig will das Grünzeug nicht munden. Wahrscheinlich liegt es daran, dass er keine Sauce dran hat. Aber Sie wissen ja vermutlich, wo das Olivenöl herkommt und wie ungesund Essig für den menschlichen Organismus ist.

Das Fiesbook

Es gibt Erfolgsgeschichten, die mich zum Nachdenken anregen. So zum Beispiel die enorme Nutzung von Facebook, einer Internet-Plattform, die dafür da ist „mit Menschen in Kontakt zu treten“ – so die Eigenwerbung. Ursprünglich gegründet um mit jenen Menschen virtuell in Kontakt zu bleiben, die man in der physischen Welt kaum mehr sieht, ist es zu einer vor Banalitäten strotzenden Selbstinszenierungsplattform geworden. Das Facebook (zu Deutsch etwa „Gesichtsbuch“) ist zum Fiesbook geworden, weil man mit diesem Ding seine Mitmenschen auf subtile Art ganz schön malträtieren kann. Einige Beispiele mögen dies illustrieren: Wer seine Facebook-Seite öffnet, sieht gleich alle möglichen Nachrichten von seinen virtuellen Freunden. (Bei diesen „Freunden“ handelt es sich oft um Menschen, für die man im richtigen Leben dieses Wort nie verwenden würde – aber dies nur nebenbei.) Man erfährt also auf einer Art Zeitschiene, was diese Menschen umtreibt. Und da reiht sich Erkenntnis an Erkenntnis: Ich bin müde, schreibt jemand. Und ein anderer: Hab grad einen Donut gegessen. Leute, die mit solchen Botschaften ihren Mitmenschen die Zeit stehlen, sind schon ziemlich fies.
Aber es gibt noch einen fieseren Trick. In der Generation der Internetkinder ist der soziale Status viel weniger von der Automarke oder der Wohnlage abhängig, sondern viel mehr von der Anzahl Freunde. Je mehr Freunde jemand auf seiner Facebook-Seite hat, desto besser. Die Erfolgreichen verzeichnen dann gut und gerne deren 400 und mehr. Da muss ja jeder andere vor Neid erblassen und denkt sich: „Was muss ich für ein langweiliger Mensch sein. Ich habe bloss ein Dutzend Freunde!“ – Richtig fies für solche Leute.
Das „soziale Netzwerk“, wie Facebook gerne genannt wird, ist in auch nur so sozial wie seine Nutzer. Und dies sind bekanntlich Menschen wie du und ich.

Sonntag, 8. März 2009

April, April!

Vor ein paar Jahren erlebte ich an einem ersten April folgende Geschichte: Es war am späten Abend und ich sass im Zug von Zürich nach Uster. Wie meist um diese Zeit fand auch dieses Mal eine Billettkontrolle statt. Die Uniformierten gingen von Abteil zu Abteil und fragten nach Billett und Abo. Im Abteil schräg gegenüber von mir sassen zwei junge Männer, beide um die 20 und von Gesicht und Kleidung eindeutig als Balkanstämmige erkennbar. Sie unterhielten sich denn auch in ihrer Muttersprache, als die Kontrolleurin hinzutrat und sagte: „Die Billette, bitte.“ Der eine zückte sein Portemonnaie, streckte der Frau ein Papier hin, worauf diese zufrieden nickte. Sein Freund hatte auch den Geldbeutel gezückt, kramte aber umständlich darin herum. Die Bahnbeamte wartete. Verlegen stotterte der Mann, er finde seinen Fahrschein nicht. Aber er habe doch ein Billett gekauft, radebrechte er weiter. Sein Gegenüber pflichtete ihm bei – ebenfalls in sehr rudimentärem Deutsch. Die Kontrolleurin liess sich nicht aus der Ruhe bringen und nahm schon mal ihren Block hervor. Während sie ein leeres Formular für die Busse suchte, wollte der Passagier in kaum verständlichem Deutsch um Nachsehen bitten.
In den umliegenden Abteilen war die Szene nicht unbemerkt geblieben und wie immer in solchen Fällen liess sich auf den Gesichtern der Mitreisenden ablesen, was sie sich dachten: „Aha, mal wieder so ein Ausländer, der das Gefühl hat, er könne gratis Zug fahren.“ Oder: „Und dann noch auf Verständnis und Nachsicht hoffen, nein also das geht zu weit.“ Und ich muss zugeben, dass auch ich mir meinen Teil dazu dachte: „Zur Integration gehört eben auch, dass man sich an die hiesigen Gepflogenheiten und Regeln anpasst.“
Die Kontrolleurin war mittlerweile dazu übergegangen, den Namen des Sünders zu notieren. Das war sehr schwierig, da dieser sie kaum verstand und seine Angaben immer wieder korrigieren musste, weil er falsch buchstabiert hatte. Die Bahnbegleiterin war sichtlich genervt und versuchte gleichzeitig Haltung zu bewahren und ihre Arbeit zu machen. Der Mann entschuldigte sich in kargem Deutsch dafür, dass er kein Billett habe. Als die Kontrolleurin die Angaben des Mannes endlich hatte, streckte sie ihm den Bussenzettel hin, damit er unterschreibe.
Plötzlich schaute der junge Ausländer die Frau an und fragte in tadellosem Deutsch: „Welches Datum ist eigentlich heute?“ Die Bahnbegleiterin war etwas verdutzt ob den plötzlichen Sprachkenntnissen des Mannes und sagte: „Ähm, der erste April…“ – Und mit einem breiten Grinsen streckte ihr der vermeintliche Schwarzfahrer seinen Fahrschein entgegen. Einen Moment lang zögerte die Frau, dann begann sie zu lachen. „Da haben Sie mich ganz schön erwischt!“ Und nicht nur die Zugbegleiterin, auch die Leute in den anderen Abteilen kamen sich ganz schön an der Nase herumgeführt vor. Denn der junge Mann aus dem Balkan hatte verstanden, was Integration wirklich heisst. Nicht nur die Sprache, sondern auch die Bräuche hatte er in der neuen Heimat gelernt.

Freitag, 6. März 2009

Die Krise hat das Wort

Wenn man sich die Berichterstattung über die gegenwärtige Finanzkrise anschaut, fällt eines besonders auf. Kein Text, der die Krise nicht mit den abenteuerlichsten Metaphern beschreiben würde. Zur Erinnerung: Eine Metapher ist ein sprachliches Bild – Eine Beschreibung, die selber auch wieder eine Metapher ist und gleichzeitig auch zeigt, wie alltäglich sprachliche Bilder sind. In der Sprachwissenschaft ist man sich heute einig, dass Sprache per se metaphorisch ist.
Schauen wir uns einige der häufigsten Metaphern aus der Berichterstattung über die Finanzkrise an: Da ist zum Beispiel von „Finanzspritzen“ die Rede. Klar, wenn jemand krank ist, gibt man ihm ein Medikament, am liebsten mit einer Spritze, damit’s auch ein bisschen wehtut. Nur: Kann man ein Wirtschaftssystem gesund spritzen? Und wie sieht es wohl mit den Nebenwirkungen aus – fragt jemand den Arzt oder Apotheker?
Den Märkten fehle es an „flüssigem Geld“, das „eingeschossen“ werden müsse, ist weiter zu lesen. Da möchte man als Laie gerne mal zuschauen, wie dieses Geld in die Finanzmärkte schwappt. Flüssiges soll aber nicht nur zugeführt werden, sondern das Finanzsystem wird zuweilen als Ozean beschrieben, auf dem die Firmen ins „Schlingern“ geraten sind. Ob daran immer der raue Wind schuld ist und nicht vielleicht die „Wirtschaftskapitäne“?
Wer bisher geglaubt hat, dass es Organisationen wie dem Roten Kreuz oder der UNHCR vorbehalten sei, Hilfspakete auszuteilen, ist in den letzten Wochen eines Besseren belehrt worden. Kaum ein Land, das nicht ein „Konjunkturpaket“ oder dergleichen „geschnürt“ hätte. Wenn es den Firmen schon schlecht geht, dann macht man ihnen doch gerne eine Freude – zweimal Weihnachten sozusagen. Geschenke packt schliesslich jeder gerne aus, und wenn dann ein paar Millionen zum Vorschein kommen, dann kann man der ganzen Krise sogar noch etwas Positives abgewinnen.
Was die bilderdurchsetzte Berichterstattung über die Krise lehrt, lässt sich wie folgt zusammenfassen: Je komplexer und abstrakter etwas ist, desto mehr sprachliche Bilder soll man beim Schreiben darüber verwenden. Damit lässt sich vielleicht vertuschen, dass man keine Ahnung hat.