Donnerstag, 19. April 2007

Jugend ohne Wort

Immer wieder stellen selbsternannte Sprachhüter fest, dass die Jugendlichen entweder eine unverständliche, vulgäre oder degenerierte Sprache sprächen. Schuld haben wahlweise das Fernsehen, Mobiltelefone oder die USA. Von den Teenagern - man erlaube mir diesen Anglizismus - wird etwa folgendes Bild gezeichnet: Die Fähigkeit zur Kommunikation ist fast vollständig verkümmert. Nur der Daumen der rechten Hand kann noch zu Mitteilungszwecken benutzt werden, nämlich um SMS ins Handy zu tippen. Diese SMS-Sprache ist gemäss Sprachpflegern voller Fehler, kryptisch und strotzt überdies vor Fehlern. Das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» titelte neulich «Rettet dem Deutsch». Illustriert war die Geschichte mit Sprayereien, was wohl auf die jugendlichen Hanswürste in Sachen Sprache hätte hindeuten sollen. Doch: kein Mensch - nicht einmal ein Vertreter der heutigen Jugend - sagt «Rettet dem Deutsch».
Sprache lebt dank Veränderung
Wie dem auch sei, hinter den Klagen über den Sprachverfall steckt ein grosses Missverständnis. Wenn sich eine Sprache verändert, bedeutet das nicht, dass sie dem Untergang geweiht ist. Im Gegenteil - erst die Veränderung hält eine Sprache am Leben. Eine unveränderliche Sprache zu fordern, ist etwa so absurd wie der Wunsch nach immer gleich bleibendem Wetter. Denn es ist nun mal so, dass sich die Welt verändert, und die Sprache muss sich mit ihr verändern, sonst wären wir bald verloren. Sprache bildet die Gesellschaft zu einem gewissen Zeitpunkt ab. Jede Zeit hat deshalb jene Sprache, die sie verdient, braucht und letztendlich will. Wenn Sprachpfleger vehement fordern, dass die Sprache sich nicht verändern dürfe, dann bleiben sie in der Regel eine Antwort schuldig, nämlich: Welche Sprache soll sich nicht verändern? Die Sprache unserer Eltern? Oder jene der Grosseltern? Oder sollten wir gar wieder parlieren wie zu Gotthelfs Zeiten? Das Problem ist offensichtlich: Es gibt nicht die Sprache, und es gibt schon gar nicht eine einzig richtige Sprache.
Sprache ist ökonomisch
Die ganz Gewieften werden jetzt einwenden, dass es doch den Duden gebe und da stehe drin, was richtig und falsch sei. Das stimmt leider nur bedingt, denn auch der Duden (und mit ihm alle anderen Wörterbücher) kann nur eine Momentaufnahme bieten. Kaum ist eine neue Duden-Ausgabe erschienen, ist sie auch schon wieder veraltet. Und in zwanzig Jahren werden sich im Duden Wörter finden, die wir heute noch nie gehört haben. Vor 20 Jahren suchte man vergebens nach dem «Shareholder-Value», dafür wurde plazieren inkonsequenterweise ohne «tz» geschrieben. War das vielleicht besser?Wenn die «heutige Jugend», wie die derzeit lebenden Jugendlichen gerne pauschal genannt werden, eine verkürzte, auf technische Übermittlung angelegte Sprache benutzt, dann hat dies auch mit unserer Zeit zu tun. Die schnelle, rudimentäre Sprache ist ein auf die Spitze getriebenes Ökonomieprinzip. Zeit ist Geld, heisst es in unserer auf Effizienz getrimmten Welt. Wieso sollte da die Sprache der Jugendlichen eine Ausnahme bilden?