Montag, 24. Dezember 2007

Von A-Menschen und B-Menschen

Irgendwie habe ich es schon immer geahnt: Die Skandinavier sind uns in Vielem voraus. Es ist allgemein bekannt, dass in Schweden nicht nur die Mutter, sondern auch der Vater einen Urlaub erhält, nachdem sein Nachwuchs zur Welt gekommen ist. Aber weder ist deswegen der Wohlstand der Schweden im Keller, noch sind die skandinavischen Männer allesamt birkenstocktragende Softies. Vielmehr schafft dieses Modell die Grundlage für eine wirklich chancengleiche Gesellschaft.
Aber nicht nur beim Vaterschaftsurlaub, auch bei viel profaneren Fragen ist man uns in Nordeuropa einen grossen Schritt voraus. Neulich las ich, dass in Dänemark eine Gesellschaft gegründet worden sei, deren Ziel es ist, die Interessen von so genannten B-Menschen zu vertreten. B-Menschen sind keine Wesen zweiter Wahl, wie man vielleicht meinen könnte. Zum B-Menschen wird man nicht gemacht, sondern erklärt sich selber dazu. Oder noch besser: Die eigene Biologie entscheidet darüber, ob man ein A- oder B-Mensch ist. A-Menschen stehen lieber früh auf, beginnen noch vor acht Uhr zu arbeiten und machen am Nachmittag früh Schluss. B-Menschen funktionieren andersherum. Sie schlafen lieber aus, tauchen vielleicht erst um zehn hinter dem Schreibtisch auf und haben am Nachmittag und abends ihre beste Schaffensphase.
Die neu gegründete Vereinigung will sich in Dänemark nun für die Interessen der B-Menschen einsetzen. Neue Technologien wie E-Mail und drahtloses Internet ermöglichten, dass nicht alle Arbeitnehmer zur gleichen Zeit am gleichen Ort sein müssten, so die 29-jährige Initiantin Camilla Kring. Sie und ihre Mitstreiter sind überzeugt, dass die Wirtschaft im Endeffekt profitieren wird: Wer Arbeit und eigene Bedürfnisse vereinen kann, ist motivierter und dadurch produktiver. Wenn ein B-Mensch gezwungen wird, vor zehn Uhr kreativ zu sein, ist das etwa so erfolgsversprechend wie wenn man einen Fussballer zum Eiskunstläufer machen will. Wieder einmal könnten wir also etwas lernen von den Skandinaviern – und wenn es nur die Erkenntnis wäre, dass nicht jeder, der morgens gerne länger liegen bleibt, ein Nichtsnutz ist.
Und noch etwas könnten wir von den Dänen lernen: Die dänischen Krippen seien auf jene Eltern ausgerichtet, die von 8 bis 16 Uhr arbeiten, sagt B-Mensch Kring in einem Interview. 8 bis 16 Uhr? Tönt gar nicht mal so schlecht. Vielleicht sollten wir uns zwischendurch vornehmen, nach das Büro skandinavischer Art um 16 Uhr statt nach gut helvetischer Art erst nach 18 Uhr zu verlassen.

Die Zweiklassengesellschaft

Wer mit offenen Augen durch die Welt und insbesondere durch die Bahnwagen der SBB geht, konnte in jüngster Zeit den Verdacht nicht loswerden, dass die Menschen näher zusammengerückt sind. Es ist augenfällig: Aus einer Vierklassengesellschaft ist eine Zweiklassengesellschaft geworden. Bis vor ein paar Jahren gab es in jedem Zug vier verschiedene Abteile: Eines für die rauchenden Reichen, eines für die nicht rauchenden Reichen, und je eines für qualmende und gesund lebende Menschen mit kleinem Portemonnaie. Gegenwärtig stehen sich nur noch die Reisenden der ersten Klasse und jene der zweiten gegenüber. Die Raucher und Nichtraucher beider Klassen haben sich vereinigt. Aus dieser Feststellung den Schluss zu ziehen, dass die Menschen einander tatsächlich näher gekommen sind, ist aber leider kreuzfalsch. Raucher und Nichtraucher sind weiter voneinander entfernt denn je. Auf beiden Seiten wird mit einer Vehemenz gekämpft, die ihresgleichen sucht.
Besonders beliebt bei Rauchern ist das Argument, dass es sich um ein persönliches Recht handle, sich einen Glimmstängel anzustecken – wo und wann immer man möchte notabene. Da kann ich als Nicht- (und Ex-)Raucher nur hoffen, dass meine Entscheidung, keinen Rauch einzuatmen ebenso respektiert wird. Grundsätzlich bin ich ja nicht gegen das Rauchen, schliesslich bringt es Farbe ins Leben: Die Finger werden gelb, die Zähne braun, die Lungenflügel schwarz – da sollte einfach jeder selber entscheiden können, wie viel Farbe er seinem Leben geben will.
Zumal es zu bedenken gilt, dass das demokratisch eingeforderte Recht auf Qualm ja nur für eine Minderheit gilt. Wenn nur 20 oder 30 Prozent einer Gesellschaft rauchen, dann ist es nach meinem Demokratieverständnis legitim, wenn sich die Mehrheit für ihr Anliegen stark macht. Den Minderheitenschutz sollte man in diesem Punkt nicht überstrapazieren.
Übrigens zeigt die Erfahrung, dass es durchaus Lösungen gibt, die für alle annehmbar sind. Im frisch renovierten Café Sprüngli am Zürcher Paradeplatz gönnte ich mir neulich einen Kaffee – ohne Rauch in der Nase. Das Lokal ist strikt aufgeteilt in Raucher- und Nichtraucherplätze. Letztere Zone wird zudem gut entlüftet. Und das Beste daran: Die Nichtraucherzone ist klar die schönere, weil hellere Hälfte des Raumes.
Übrigens stimmt es wohl, was viele Raucher behaupten: Die schlimmsten Scharfmacher bei den Nichtrauchern sind die ehemaligen Raucher. Das kann ich bestätigen. Warum das so ist, darüber kann ich nur mutmassen. Vielleicht, weil die ehemaligen Raucher wissen, dass weniger Farbe im Leben komischerweise ein farbigeres Leben bedeutet.

Montag, 29. Oktober 2007

Gefunden: die Antimaterie!

Neulich kaufte ich mir mal wieder eine Kindheitserinnerung, ein Minipic. Diese länglichen, dünnen und ein bisschen grusigen Würstli erinnern mich stets an Einkäufe mit meiner Mutter. Wahrscheinlich, weil ich immer eins wollte und nie eins bekam. Stattdessen gab's ein fettiges Wurst-Rugeli. Schon unglaublich, was man als Kind alles aushalten muss...
Vielleicht war das ganze aber auch ein abgekartetes Spiel und die Erwachsenen wusste genau, weshalb sie mir das Minipic verwehrten. Auf der Verpackung stehen nämlich Dinge drauf, die für Kinderaugen nicht geeignet sind. Und das geht so: "Zutaten pro 100g: Schweinefleisch (ca. 65g), Rindfleisch (ca. 56g), Speck, Nitratpökelsalz etc." Na? Fällt Ihnen was auf, liebe Leserin, lieber Leser? Na dann rechnen Sie mal schnell: 65g plus 56g gleich 121 Gramm. Pro 100 Gramm. Und dann kommt noch Speck und was weiss ich alles für grusige Sachen hinzu. Seltsam, oder? Es gibt nur eine Erklärung für dieses Phänomen: negative Materie. Auch genannt Anti-Materie. Wenn 100 Gramm aus 121 Gramm bestehen, dann muss logischerweise ein Teil dieser 121 Gramm einen anderen Teil vernichten. Mit anderen Worten: Diese fünf Salamistängeli, die zusammen in einer Plastikfolie wohnen, bis sie ein hungriger Mensch verschlingt, sind nichts anderes als ein schwarzes Loch. So bezeichnen Astronomen Orte im Universum, an denen Materie vernichtet wird, was im Fall von Minipic ja auch geschieht. Ganze 21 Gramm Rinds- und Schweinefleisch verpuffen, bevor sie sich als Materie manifestieren können.
Damit sollte auch klar sein, wieso man Kindern Minipics verbieten sollte. Erführen sie nämlich im zarten Kindesalter von der Relativität der Materie, könnten sie auf die Idee kommen, dass das Zimmer nicht aufgeräumt werden muss, sondern dass es einfach zu wenig Anti-Materie darin hat. Und das liesse sich dann vielleicht mit einem Minipic bewerkstelligen.
Anti-Materie zeigt sich übrigens manchmal wieder in Form von Materie, und zwar da, wo sie nicht sollte. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal abgesogen werden.

Samstag, 18. August 2007

Der Kluge reist im Zuge

Neulich belauschte ich in der S5 von Zürich Richtung Oberland ein Handy-Gespräch der besonderen Art. Für einmal wurden der Welt nämlich weder die üblichen Beziehungsprobleme («Nei Schatz, mer händ en Apéro im Gschäft gha») noch Geldsorgen («Ich bruch de Stutz megadringend») mitgeteilt, sondern das Problem eines sich füllenden Brunnens erörtert. Man mag sich wundern, wie man eine Viertelstunde über ein Wasserspiel diskutieren kann, doch die Sache ist kniffliger, als es den Anschein macht.Das Gespräch geht gleich mit dem Wichtigsten los: «Weisst du jetzt, wie man den Brunnen berechnet?» Der Anrufer horcht in sein Mobiltelefon, die Antwort befriedigt ihn nicht: «Nein, du musst zuerst das Volumen ausrechnen. Höhe mal Breite mal Tiefe.» - Aha. Ein Brunnenkonstrukteur, der seinem Lehrling Anweisungen gibt, denkt sich der interessierte Zuhörer. «Und wie viel läuft in der Minute hinein?» - Das ist nun wirklich eine gute Frage für den Brunnenbauer. Der Stift hat es offenbar schon ausgerechnet, denn der Lehrmeister bestätigt das Gehörte. «Und jetzt musst du wissen, wie viel rausläuft», gibt er die nächste Anweisung in sein Handy. - Oh Schande, der Brunnen hat auch noch ein Leck! Der Lehrling sollte es flicken, zustopfen, mit seinem Hemd, irgendwie, möchte ich dem Lehrmeister zu verstehen geben. Er beachtet mich nicht, hat aber inzwischen ein Blatt Papier gezückt und präzisiert seine Angaben. «Wenn du die Höhe weisst, dann ist jetzt der Durchlauf auch klar, oder?» - Logo, kein Problem. «Das kannst du ja mit dem Volumen berechnen», gehen die Instruktionen weiter. - Hätte er aber auch selber draufkommen können, der Junior am anderen Ende der Leitung.Dann klart die Miene des Brunnenbauspezialisten mit einem Male auf: «Genau. Jetzt hast du es verstanden. Ja, nun ist der Zwanziger gefallen.» - Auch ich bin beruhigt, dass die Gefahr einer Überschwemmung fürs Erste gebannt ist. Der Lehrmeister beendet das Gespräch mit folgenden Worten: «Gib die Aufgabe morgen ab. Nimmt mich Wunder, was dein Mathi-Lehrer dazu sagen wird.» - Mathi-Lehrer?, fragt sich der vom Mitfiebern etwas ermattete Mitreisende. Langsam dämmert es: Offenbar hatte ich gerade einer Nachhilfestunde im Sätzlirechnen beigewohnt. Keine Spur von Brunnenbauer und Lehrling. Drei Dinge habe ich aber gelernt: 1. Bildung ist teuer (die Handy-Rechnung des vermeintlichen Lehrmeisters möchte ich jedenfalls nicht sehen), 2. der Brunnen ist in 27 Minuten gefüllt, und 3. der Kluge reist tatsächlich im Zuge - der Dumme sitzt nämlich zu Hause und büffelt Dreisätze.

Der 1. August 2008 ist gerettet

Neulich habe ich auf einer Speisekarte ein Gericht entdeckt, das ich vor lauter Ethnofood schon längst tot geglaubt hatte: Wurstsalat garniert. Es gibt wohl nichts Urschweizerischeres als einen Wurstsalat.
Doch im Gegensatz zur hiesigen Demokratie und Eigenständigkeit ist dieses nationale Symbol wirklich bedroht. In einen Wurstsalat gehört ja nicht irgendeine Wurst, sondern ein in Scheiben geschnittener Cervelat.
Dieser Wurst geht es jetzt aber an den Kragen, weil die «Haut», wie die Import-Rinderdärme verniedlichend genannt werden, bald nicht mehr geliefert werden können. Der Cervelat (wieso haben eigentlich alle Schweizer Spezialitäten französische Namen? - Fondue, Raclette, Gruyère) ist eine Kindheitserinnerung und weckt Heimatgefühle.
Am Sporttag verteilte man uns in der Mittagspause jeweils einen Imbiss. Dieser bestand aus einem rohen Cervelat, einem Bürli und einem Fläschli Most. Verschwitzt setzten wir uns auf den Fussballrasen und bissen herzhaft in die Brätmasse. Nur bei der Frage, ob der zähe Rinderdarm, welcher die Masse in Form hält, mitgegessen werden soll oder nicht, schieden sich die Geister. Dieser Zmittag wird heute nicht mehr verteilt am Sporttag. Vielleicht auch wegen der Sparmassnahmen, aber vor allem, weil man einen rohen Cervelat nicht mehr ganz zeitgemäss findet.
Als ich 20 Jahre später als Begleitperson auf eine Schulreise mitging, war die Frage «Cervelat schälen oder nicht?» immer noch nicht vom Tisch. Eines der Schulkinder hatte jedoch eine klare Vorstellung, wie es seine Wurst haben wollte: «Ohne Fell, bitte.» Gut, hab ich halt dem Ding das Fell über die Ohren gezogen. Der Knabe war glücklich, hielt seine Wurst kurz in die Flammen, bis sie aussen verkohlt und innen noch kalt war - es schmeckte ihm vorzüglich ...
Es wäre ja wirklich ein Jammer, wenn uns künftig solche Szenen und gastronomische Erfahrungen vorenthalten bleiben würden. Einen positiven Effekt hätte der Untergang des Cervelat aber vielleicht doch: Die nach der Wurst benannten Lokalberühmtheiten - eben die Cervelatprominenz - würde mit dem Cervelat verschwinden, so meine Hoffnung. Wie schön wäre es, nie mehr Bilder von Baschi und Francine Jordi in der Zeitung sehen zu müssen. Dafür könnte ich glatt zum Vegetarier werden.
82 Millionen Cervelats gehen jedes Jahr über die Ladentheken der Schweiz. Gemäss dem Schweizer Bauernverband wird das auch nächstes Jahr noch so sein. Zwar können weder aus Brasilien noch aus Paraguay mehr Rinderdärme eingeführt werden, aber zur Not könne man auch auf solche aus Australien oder Neuseeland ausweichen.
Wie dem auch sei, Hauptsache, unsere urschweizerische Wurst ist gerettet. Und falls alle Därme reissen sollten, bleibe immer noch die Möglichkeit, Schweinedärme zu verwenden, heisst es beim Bauernverband. Die kommen dann wahrscheinlich aus China oder Polen.
Aber egal, Hauptsache, der nächste Nationalfeiertag ist gerettet.

Montag, 11. Juni 2007

Endlich Formel 1 im Zürcher Oberland

Der Nationalrat hat diese Woche beschlossen, dass Formel-1-Rennen in der Schweiz wieder zugelassen werden sollen. Seit 1955, als bei einem Unfall im französischen Le Mans über 80 Personen starben, waren die lärmenden Motoren auf helvetischen Pisten tabu. In der Zwischenzeit hat sich aber einiges geändert, und das wissen natürlich auch die Bundespolitiker. Es verkehren heute viel mehr Privatwagen als vor 50 Jahren und das ganze Land ist mit einem dichten Netz von Autobahnen überzogen. Das ganze Land? Nein, eine kleine Region im Zürcher Oberland konnte bisher gegen Ansturm der Autobahnbauer wehren. Doch das soll sich nun ändern. Mit der Wiedereinführung der Formel-1-Rennen wollen die Politiker in Bern auch gleich der Oberlandautobahn zum Durchbruch verhelfen. Die Verbindungsstrasse soll nämlich so angelegt werden, dass sie am Wochenende für Rundrennen benützt werden kann. Nicht umsonst wurde beim Anschluss Uster Nord vor ein paar Jahren ein Kreisel gebaut. Dieser wird zum so genannten „Buchholz-Turn“, von wo aus es auf der Beschleunigungsrampe Richtung Aatal geht. Eine kurvenreiche Strecke durch Tunnels und über Brücken führt dann Hamilton und Co. gen Hinwil, wo der Betzholz-Kreisel die zweite Haarnadelkurve des Parcours bildet. Allenfalls kann auch eine Schikane eingebaut werden, indem der Kurs über die Schleuderstrecke des TCS umgeleitet wird. Für die Zuschauer verspricht man sich ein besonderes Spektakel.
Problematisch könnte für die Rennboliden einzig die Anfahrt ins hügelige Zürcher Oberland sein. Nicht umsonst fahren hier ja so viele Personen ein so genanntes SUV (kurz für: Sport Utility Vehicle, wobei man sich fragt, was diese Kolosse mit Sport und Nützlichkeit zu tun haben sollen). Das strassentechnisch unterentwickelte Gebiet zwischen Greifensee und Obersee lässt sich eben nur mit grossen Motoren, dicken Pneus und viel Benzin befahren. Bei den Verantwortlichen sind deshalb Stimmen laut geworden, das Oberland-Rundrennen und die Begeisterung der Bewohner für Allround-Fahrzeuge zu kombinieren. Der Kompromiss sähe dann so aus: Die Rennstrecke wird zwar gebaut, aber nicht asphaltiert. Damit wären alle zufrieden: Chef-Automobilist Giezendanner hätte seinen Traum vom helvetischen Rundstreckenrennen verwirklicht, die Oberländer hätten ihre Autobahn und dürften erst noch mit gutem Gewissen jeden Morgen ihren 12-Zylinder-Motor starten.

Mittwoch, 30. Mai 2007

Verhüllungstaktik

Die schlechten Dinge haben ja manchmal auch ihre guten Seiten. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat neulich die Bevölkerung dazu aufgefordert, Atemschutzmasken zu kaufen. Mindestens 50 Stück sollte jede und jeder zu Hause auf Vorrat haben, für den Fall dass die Gefahr über uns hereinbrechen sollte. Gemeint sind aber weder der Sommer-Smog noch die alljährlich wiederkehrende Ozonbelastung. Daran sollen sich die Leute gewöhnen oder einfach während dem Sommerhalbjahr ihre Wohnung nicht mehr verlassen, was dank Online-Shopping ja problemlos möglich ist.
Das BAG warnt vor einer ganz anderen Gefahr, nämlich der Vogelgrippe. Wenn die Pandemie kommt, dann hilft nämlich nur noch eins: Maske auf und Hände weg! Von allem. Denn mit den Händen überträgt man oft Krankheitskeime. So weit so gut, doch am Alarmismus des Bundesamtes erstaunen zwei Faktoren: 1. Der Zeitpunkt und 2. Die Wirksamkeit der Massnahme. Den Zeitpunkt erklären die Verantwortlichen damit, dass die Gefahr allgegenwärtig sei und man nie genug gewappnet sein könne. Dann könnte das BAG den Bürgern allerdings auch Ohrenstöpsel gegen schlechtes Privatradio und einen Notvorrat an Büchern gegen den Analphabetismus empfehlen. Denn diese Gefahren lauern auch überall und ihre Auswirkungen sind vielleicht noch schlimmer. Zum zweiten Punkt sei nur Folgendes gesagt: Die Wirksamkeit von Atemschutzmasken ist so klein, dass man sich fragen muss, ob das BAG nicht den Grossverteilern helfen will, ihre Lagerbestände aus Sars-Zeiten zu liquidieren. Die Verantwortlichen räumten denn auch ein, dass die Maske nach drei Stunden von der Atemluft feucht sei und nichts mehr tauge. Dass sie vorher nicht viel mehr taugt, wollte niemand verraten. Weder eine hundskommune, geschweige denn die böse Vogelgrippe lassen sich von den Atemmasken aufhalten. Offenbar will man damit vor allem eines: das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung stärken.
Es gibt aber noch einige Fragen, die das BAG bis jetzt nicht beantwortet hat: Dürfen Raucher ein Loch in die Maske schneiden? Wer garantiert mir, dass ich nicht für einen vermummten Demonstranten gehalten und verhaftet werde? Müssen Chirurgen nun keine Masken mehr tragen? Oder gleich zwei? Und was mache ich, wenn der Vorrat an Schutzmasken nach schätzungshalber einer Woche aufgebraucht ist? Am besten wohl das: vor Erleichterung tief Durchatmen.

Mittwoch, 2. Mai 2007

Die Sprache der Kleider

Neulich habe ich eine Frau gesehen, die ein T-Shirt trug, auf dem in geschlungenen Buchstaben ein einziges Wort stand: Summer. Bloss Summer. Ein englisches Wort, gewiss, aber das war gar nicht, was mich zum Nachdenken brachte. Englische Wörter sind wir uns mittlerweile gewohnt und schliesslich könnte das Wort ja auch Schweizerdeutsch sein. Nein, viel mehr fragte ich mich: Was bringt eine Frau dazu, ein Leibchen überzustreifen, auf dem der Name einer Jahreszeit steht? Würde sie auch mit dem Aufdruck „Blume“ oder „Verbrennungsmotor“ auf der Brust durch die Gegend gehen? Und die vielleicht wichtigste Frage in diesem Zusammenhang: Was will uns diese Person sagen? Dass es Sommer ist? – Das haben wir ja selber gemerkt, bei 25 Grad am Schatten. Was dann? Dass es Sommer wird? Das wäre dann eine ziemliche Nullnummer. Jede Kind weiss, dass der Sommer kommt, ob es dann regnet oder die Sonne brutzelt ist einerlei.
Bei meiner Arbeit als Snowboardlehrer hatte ich einmal einen Knaben in einem Kurs, der eine Jacke trug mit der Aufschrift: „Active Kids run away“. Ich fragte mich dasselbe wie bei der Dame mit dem Jahreszeiten-Leibchen: Was will mir dieser Mensch mitteilen? Und wie um Gottes Willen kommen Eltern dazu, ihrem Kind eine solche Jacke zu kaufen? Zum Glück hatte der Junge keine Ahnung, was auf seinem Anorak stand – die Geschichte spielt in der Zeit vor dem Frühenglisch –, sonst wäre er wohl auf und davon. Der Junge war nämlich tatsächlich ein aufgewecktes Kerlchen.
Der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawik sagte einmal: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Er hatte zweifelsohne Recht, denn egal, was wir tun oder nicht tun, sagen oder nicht sagen – immer ist Verhalten als Kommunikation deutbar. Mit diesem Wissen könnte man beim nächsten Kleiderkauf kritisch vor den Spiegel treten und sich fragen: Wenn ich schon ständig mit meiner Umwelt kommunizieren muss, wäre es dann möglich, eine gescheitere Botschaft zu finden?

Donnerstag, 19. April 2007

Jugend ohne Wort

Immer wieder stellen selbsternannte Sprachhüter fest, dass die Jugendlichen entweder eine unverständliche, vulgäre oder degenerierte Sprache sprächen. Schuld haben wahlweise das Fernsehen, Mobiltelefone oder die USA. Von den Teenagern - man erlaube mir diesen Anglizismus - wird etwa folgendes Bild gezeichnet: Die Fähigkeit zur Kommunikation ist fast vollständig verkümmert. Nur der Daumen der rechten Hand kann noch zu Mitteilungszwecken benutzt werden, nämlich um SMS ins Handy zu tippen. Diese SMS-Sprache ist gemäss Sprachpflegern voller Fehler, kryptisch und strotzt überdies vor Fehlern. Das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» titelte neulich «Rettet dem Deutsch». Illustriert war die Geschichte mit Sprayereien, was wohl auf die jugendlichen Hanswürste in Sachen Sprache hätte hindeuten sollen. Doch: kein Mensch - nicht einmal ein Vertreter der heutigen Jugend - sagt «Rettet dem Deutsch».
Sprache lebt dank Veränderung
Wie dem auch sei, hinter den Klagen über den Sprachverfall steckt ein grosses Missverständnis. Wenn sich eine Sprache verändert, bedeutet das nicht, dass sie dem Untergang geweiht ist. Im Gegenteil - erst die Veränderung hält eine Sprache am Leben. Eine unveränderliche Sprache zu fordern, ist etwa so absurd wie der Wunsch nach immer gleich bleibendem Wetter. Denn es ist nun mal so, dass sich die Welt verändert, und die Sprache muss sich mit ihr verändern, sonst wären wir bald verloren. Sprache bildet die Gesellschaft zu einem gewissen Zeitpunkt ab. Jede Zeit hat deshalb jene Sprache, die sie verdient, braucht und letztendlich will. Wenn Sprachpfleger vehement fordern, dass die Sprache sich nicht verändern dürfe, dann bleiben sie in der Regel eine Antwort schuldig, nämlich: Welche Sprache soll sich nicht verändern? Die Sprache unserer Eltern? Oder jene der Grosseltern? Oder sollten wir gar wieder parlieren wie zu Gotthelfs Zeiten? Das Problem ist offensichtlich: Es gibt nicht die Sprache, und es gibt schon gar nicht eine einzig richtige Sprache.
Sprache ist ökonomisch
Die ganz Gewieften werden jetzt einwenden, dass es doch den Duden gebe und da stehe drin, was richtig und falsch sei. Das stimmt leider nur bedingt, denn auch der Duden (und mit ihm alle anderen Wörterbücher) kann nur eine Momentaufnahme bieten. Kaum ist eine neue Duden-Ausgabe erschienen, ist sie auch schon wieder veraltet. Und in zwanzig Jahren werden sich im Duden Wörter finden, die wir heute noch nie gehört haben. Vor 20 Jahren suchte man vergebens nach dem «Shareholder-Value», dafür wurde plazieren inkonsequenterweise ohne «tz» geschrieben. War das vielleicht besser?Wenn die «heutige Jugend», wie die derzeit lebenden Jugendlichen gerne pauschal genannt werden, eine verkürzte, auf technische Übermittlung angelegte Sprache benutzt, dann hat dies auch mit unserer Zeit zu tun. Die schnelle, rudimentäre Sprache ist ein auf die Spitze getriebenes Ökonomieprinzip. Zeit ist Geld, heisst es in unserer auf Effizienz getrimmten Welt. Wieso sollte da die Sprache der Jugendlichen eine Ausnahme bilden?